klassenfoto
anno domini 1948
kartoffeltheater-komparsen
auf hochglanz poliert.
fotogene fröbelohren,
dem gemeindesiegel entsprungen.
urbilder einer ochsentreibenden jugend,
die aus sich selbst heraus lebt.
der salon des kleinstadtfotografen
hält die plüschohren steif.
gerahmte elogen.
spitzenkragen, hahnenkamm,
dauerwelle, tupfenkleid
gruppiert um einen rosenstrauß.
der konfirmanden aufgerißne augenpaare.
ein exotischer vogel im weißen jackett,
künstlerschleife unters kinn gebunden:
der lehrer, ein geiger aus Glogau.
lebhaft befremdet sieht er in sich hinein.
wenn ihn der zorn packte,
griff er zur geige
und fiedelte ein carmen triviale furioso.
nur ein einziges kind,
das auf dem foto
noch wie ein kind lächelt.
das erlebnis des lebens
lag hinter uns.
(Kirsten Wulf: Die Erde bei Meissen. Gedichte. Suhrkamp Frankfurt 1987)
4 Kommentare
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März 3, 2017 um 10:34 AM
muehlenmirla
und meines begann…..:-)
Lieber Gruß zum Wochenende
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März 4, 2017 um 7:31 PM
wildgans
Aber nicht mit schrägen Lehrern aus Glogau – oder?
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März 4, 2017 um 8:11 AM
rosadora
warum erinnern sich die menschen so gerne
das leben liegt vor uns
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März 4, 2017 um 7:31 PM
wildgans
Sag bloß, Du versagst dir dieses Abundzuvergnügen?
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