Kurzbiographie
In Enge und Not bin ich aufgewachsen,
aber ich hatte genug zum Staunen,
ehe man mir das Kritteln beibrachte;
ich zehr davon heut noch fürs Überleben.
Um die Schlafjahre, die ich mir abstehlen mußte
zum Bücherlesen, zum Lernen und Schreiben,
bin ich früher gealtert als andre
und jünger geblieben mit grauem Haar.
Auch ich hab mich gegen das Unrecht empört –
und viel zu viel selber angerichtet.
Als ich das einzusehen begann,
hätt ich beinahe das Lachen verlernt,
gäb es nicht immer noch Kinder und Katzen.
Ich hab mit Gewinn und Verlust geliebt
und immer nur sehr genau kalkuliert,
ob es für Obdach und Brot noch langte.
(Zum Betteln hat`s mir an Demut gefehlt.)
Manchmal wär ich gern tüchtig gewesen,
um es den Freunden zu erleichtern,
auf mich auch ein bißchen stolz zu sein,
leider ist daraus nichts geworden.
Einige blieben mir trotzdem treu.
Alles in allem habe ich dankbar
gelebt, auch wenn es mich so erschöpft hat,
daß ich oft schon aufgeben wollte.
Einiges hab ich ausgekostet
bis zur bitteren Neige der Schuld.
Aber sie hat mich wach gehalten –
auch für die Augenblicke der Gnade.
Manchmal, wenn ich auf blinder Haut noch
das tägliche Licht als Ereignis spüre,
bin ich wieder der erste Mensch.
(Christine Busta. In: So jung wie die Hoffnung. Gedichte und Geschichten vom Älterwerden. Hrsg.: Andrea Wüstner. Reclam Stuttgart 2012)
8 Kommentare
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Juni 28, 2016 um 9:44 AM
liisa
Großartiges Gedicht!
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Juni 30, 2016 um 9:44 PM
wildgans
Denke ich auch – und auch immer daran, dass sie sehr alt und einsam im Pflegeheim verstorben ist.
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Juni 28, 2016 um 11:59 AM
Graugans
Die wunderbare Christine Busta, ich danke Dir sehr für dieses schmerzhaft schöne Gedicht, grad zu dieser Stunde und im absolut richtigen Moment!
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Juni 30, 2016 um 9:45 PM
wildgans
Oh, da habe ich einen Feinnerv getroffen!?
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Juni 28, 2016 um 8:22 PM
Ulli
Dieses Worte gehen mir ganz nah unter die Haut, im Schmerz, wie in der Freude
danke Sonja und liebe Grüsse
Ulli
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Juni 30, 2016 um 9:45 PM
wildgans
Im Schmerz wie in der Freude. Hoffentlich mehr die Freude!
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Juni 28, 2016 um 11:00 PM
Stephanie Jaeckel
In Enge und Not bin ich aufgewachsen, doch ich hatte genug zum Staunen… – Wäre das nicht schon der Aufbruch in neue Tage? Nicht die Enge zu suchen, sondern wieder mit dem Staunen anzufangen?
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Juni 30, 2016 um 9:46 PM
wildgans
Genau, neugierig bleiben, nicht mit dem Staunen aufhören – es ist eh alles im Fluss.
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