Dem Andenken meines Vaters
Pfarrer Siegfried Pisarski (1915 – 1984)
Immer noch erzählen mir Menschen,
er habe sie getauft, konfirmiert, getraut,
habe ihre alten Eltern besucht, habe mit
ihnen gelacht und geweint. Er hat Leben
gestiftet, auch wenn ihm selbst die Kunst
zu leben zunehmend entglitten ist.
Die Kunst zu sterben?
Am Schluss lag er in einem kleinen
Klinikzimmer. Zu viel Alkohol und zu
viele Tabletten hatten ihn gezeichnet.
Die Kunst zu sterben wurde ihm
von anderen geschenkt.
Von der Stationsschwester, die sagte:
„Ich lasse Sie mit Ihrem Vater allein.
Aber wenn Sie mich brauchen, werde
ich für Sie da sein.“
Von einer Schwesternschülerin, die zum
Rasieren kam und zum Nägel Schneiden,
freundlich und einfühlsam, seine Würde
nicht antastend.
Von dem Stationsarzt, der uns versicherte:
„Ich sehe, wie sehr Ihr Vater von Liebe umgeben
ist. Lassen wir doch dieses Leben ausatmen,
so wie es sich ausatmen will.“
(Waldemar Pisarski. Auch am Abend wird es licht sein. Die Kunst, zu leben und zu sterben. Claudius Verlag. München 2005)
2 Kommentare
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Juli 27, 2015 um 9:34 AM
karfunkelfee
Berührend…und sehr schön, der Satz am Ende.
Ich durfte anwesend sein in letzten Stunden zweier geliebter Menschen, deren Tod unmittelbar bevorstand. Kann diese letzten Momente kaum beschreiben. Sie wollten noch so viel sagen, hatten nicht mehr genug Kraft und der Tod lässt Offenes zurück, selbst wenn er etwas beschließt.
Liebe blieb zurück und der Wunsch nach Frieden am Ende eines langen Lebens.
Ich lernte auch die andere Variante kennen. Da beendete der Tod ein Leiden, das so groß war, dass man ihn einerseits herbeiwünschte, andererseits den Wunsch zurückließ, es hätte mehr Aufmerksamkeit gegeben seitens des Krankenhauspersonals, wenn mal niemand sie pflegen konnte, sie sauberwaschen oder ihre letzten Wünsche beachten, die klein waren im Vergleich zu anderen Wünschen. Ihr ganzer Stolz waren ihre kleinen schönen Hände. Sie hat sie stets gepflegt. Sie drohten durch die Krankheit auszutrocknen. Sie wünschte sich, wann immer jemand kam, in lichten Momenten, die nicht morphiumvernebelt waren, dass sie jemand cremt. Sie hatte ständig Durst. Bekam viel zu wenig Befeuchtung. Doch man dachte wohl, künstliche Ernährung reiche aus…damit sie versorgt sei mit allem.
Weiter ins Detail gehe ich nicht.
Dieser Tod war ein menschenunwürdiges Krepieren und palliativ kunstlos und gleichgültig seitens der Pflegekräfte, die ständig um sie waren.
Darum so wohltuend dieser Text.
Es geht auch anders…
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Juli 27, 2015 um 10:52 AM
wildgans
Danke für diesen mir sehr nahe gehenden Erzählkommentar!
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