Aus der Stadt gekommen, da hätte es mich beinahe umgehauen. Dieses Jahr den ersten Kranichzug gehört und gleich darauf erblickt überm Scheunendach. Wären die Graupflastersteine im Hof nicht so hart und die Wiese nicht so nass gewesen, hätte ich mich heulend hingeworfen. Der Anblick löst eine süßtraurige Herbstbetroffenheit aus und macht mir Gänsehaut, als würde der Liebste meinen Rücken kraulen!
Dazu kam plötzlich die Sonne. Dunstig sanft und warm gegen Ende Oktober. Die Seufzworte, wie schön das ist, hat keiner gehört, obwohl ich sie mindestens oft leise gen Kranichgehimmel flüsterte mit einem Gesicht wie nach einem zwanzigstündigen Kosmetikerinnenbesuch.
Überhaupt, die Gesichter in der Stadt, die habe ich mir, wie im Strittmatter-Gedicht beschrieben, gern angesehn. Einige waren sogar aus Berlin. Ihr Luxusreisebus stand vorm Dom und sie fotografierten dort herum. Man baute gerade die Mandelbüdchen auf für den Mantelsonntag. Keiner hielt nach Kranichen Ausschau. Die kamen erst später und beim Stadtkrach geht ihr heiseres Geschrei mitunter sicher unter.
25 Kommentare
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Oktober 23, 2014 um 5:28 PM
Clara Himmelhoch
Was, bitteschön, ist der „Mantelsonntag“ – der hat aber nichts mit dem mantelteilenden Martin zu tun? Ich will es lieber mit deinen Worten als mit Googelworten lesen.
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Oktober 23, 2014 um 9:46 PM
wildgans
Früher war der Mantelsonntag dazu da, dass berufstätige Leute ihre Winterbekleidung einkaufen können sollten…lange der einzig verkaufsoffene Sonntag im Jahr- nun, wie Herr nurmalich es auch sagt, inflationär veranstaltet allüberall.
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Oktober 24, 2014 um 1:00 AM
Clara Himmelhoch
Vielleicht nicht ganz – aber man hat ja manchmal das Gefühl, es gibt mehr offene als geschlossene Sonntage. – Ich kann mich nicht einigen, ob ich es gut finden soll oder nicht. – Für zwei arbeitende Elternteile kann es hilfreich sein.
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Oktober 23, 2014 um 5:33 PM
nurmalich
Ja, da bin ich auch gespannt, wie Wildgans den Mantelsonntag beschreibt.
Den gab es hier auch, aber inzwischen ist er halt den inflationär gewordenen „verkaufsoffenen Sonntagen“ gewichen
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Oktober 23, 2014 um 8:16 PM
karfunkelfee
Vorgestern kamen bei mir hier die ersten Wildgansvorhuten an. Kleine Trüppchen noch und ich warte auch auf die Kraniche. Sie zwischenlagern und sammeln sich hier im Wald, am liebsten lausche ich ihren melancholischen Rufen nachts und in der Frühe, in der Morgendämmerung.
Sie kommen spät, dieses Jahr, war lange warm, müssten auch bald eintrudeln…
Irgendeinen Morgen dann, wenn sie genug sind und sich ausgeruht haben, starten sie alle gemeinsam mit einem Riesenhallo, steigen wie eine Wirbelwolke auf. und das ist ein Gefühl…ach, ich schrieb schon so einige Gedichte über diese besondere Fernwehstimmung…und doch fällt mir immer noch Neues dazu ein…
Doch jetzt sind erst einmal die Gänse gekommen, ob Akå von Ketnikayse dabei ist? Ich halt Ausschau nach Nils Holgersson…
Stadtgesichter waren heute alle in Decken gewickelt, verschalt und verkapuzt, so dass Beobachten heut nicht gut ging trotz vorteilhafter Platzierung und einem großen Milchkaffee zur Tarnung…
Einen lieben Gruß
gern gelesen
Kraniche gefunden,
Stadtgesichter,
der Text mundete
vorzüglich,
Viele liebe Grüße
von der Karfunkelfee
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Oktober 23, 2014 um 9:48 PM
wildgans
Würden doch solche schön langen Intensivkommentare wie dieser Karfunkelfee`sche hier auch inflationär werden…
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Oktober 24, 2014 um 1:03 AM
Clara Himmelhoch
Da hätten bald alle Leute Sehnenscheidenentzündungen vom vielen Tippen und du würdest gar nichts mehr hier lesen können, liebe Sonja 🙂
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Oktober 26, 2014 um 10:13 PM
Jorge D.R.
Na ja, von Inflation kann man noch nicht sprechen. Aber der einzig lange Kommentar ist es nun auch nicht.
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Oktober 23, 2014 um 9:18 PM
Gabriela
So ziehen sie denn bei euch vorbei und es wird ruhiger in unseren Gefilden die reichlich mit Glücksvögelgrugru gesegnet sind. An manchen Seen herrscht ein Getöse, da hörtest du den Stadtlärm nicht mehr.
Doch so manche Formation zieht lautlos dahin und malt ihr Vogelvictoryzeichen an den Himmel, ich sende ihn mit, den
Seufzergruß aus dem Norden
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Oktober 23, 2014 um 9:52 PM
wildgans
Torgelowsee, ich habe den vor dem inneren Auge- und auch den einsamen vor der Stadt Neubrandenburg…Müritz ebenso. Würde da mal gerne zuhören und sehen. Dein Seufzergruß kommt vielleicht die nächsten Tage nochmal mit hier vorbei….ich warte.
Vogelvictoryzeichen – kompetente Bezeichnung 🙂
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Oktober 23, 2014 um 9:41 PM
Lakritze
Die Kraniche habe ich dann wohl verpaßt dieses Jahr; weniger freiwillig als den Mantelsonntag. Und, oh, was für ein schöner Text!
(Und ich las was von Zugvögeln und dachte erst mal sonstwas.)
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Oktober 24, 2014 um 7:05 AM
Trippmadam
Ich auch. Über Madrid zogen jedenfalls keine. (Zugvögeln…Frau Lakritze! Ich bin schockiert!)
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Oktober 24, 2014 um 12:07 PM
wildgans
„Zugvögeln“ möchte ich als Geschichtenanstoß demnächst mal aufgreifen 🙂
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Oktober 23, 2014 um 9:52 PM
wildgans
Alle Kranichzüge sind noch nicht durch, glaube ich…
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Oktober 24, 2014 um 8:41 AM
Iris
Schönes zu sehen macht schön. Da braucht’s dann wirklich keine Kosmetikerin mehr. Wenn ich mal in den Spiegel sehe unmittelbar nach einem überwältigend schönen Erlebnis, dann sehe ich ein Gesicht, mit dem ich vollauf zufrieden bin. Weil es völlige Zufriedenheit ausstrahlt. So entspannt, so beglückt, so erfüllt. Bei mir lösen das sowohl solche Naturerlebnisse wie das von dir beschriebene aus, als auch das Betrachten von Kunst (nicht jeder). Da wirken dann zwei Stunden Museumsbesuch wie zwanzig Stunden Kosmetikerin. Oder auch schöne Texte …
Mir gefällt total, wie du dieses Kranichzugerlebnis beschreibst, deine Ergriffenheit ohne Kitsch und Pathos wiedergibst. Da würde ich mich am liebsten mit dir auf die Pflastersteine werfen und gemeinsam in den Himmel gucken. 🙂
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Oktober 24, 2014 um 12:08 PM
wildgans
Kannst ruhig mal kommen, dann machen wir das und andere Sinnessachen!
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Oktober 24, 2014 um 8:49 AM
zeilentiger
Wieder einmal schön, die Kranichsehnsucht und das Menschensehen.
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Oktober 24, 2014 um 12:09 PM
wildgans
Ein feines großes DANKE!
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Oktober 24, 2014 um 9:13 AM
Elvira
Ich habe letztens den ersten Kranichzug meines Lebens gesehen. Flüchtende Wildgänse rufen mir oft ein Lebewohl zu, und ich wünsche ihnen mit einem Stein im Herzen eine gute Reise und eine gesunde Wiederkehr. Und wie in jedem Jahr flüstert mir die unvergessliche Tamara Danz ihr Lied ins Ohr:
Dieser Sommer liegt im Sterben /
Wie auch der vom letzten Jahr /
Kalte Nebel fall`n vom Himmel /
Zaubern Eisblumen ins Haar /
Wir steh`n auf dem Bahnsteig /
Dein Mantel reicht für zwei, du flüsterst /
Und Dein Atem weht /
Wie Rauch an mir vorbei /
Bye Bye my Love /
Ich will nur einmal mit den Vögeln zieh´n /
Bye Bye my Love /
Ich komme wieder, wenn die Wiesen blüh´n /
Dieser Sommer ist gestorben /
Und ich weiß genau /
Wenn ich jetzt bei Dir bleibe/
Stirbt unsere Liebe auch /
Kann sein, ich werd´ im Süden /
Auch nicht richtig warm /
Kann sein, es ist dein Mantel /
Und /
das Nest in deinem Arm/
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Oktober 24, 2014 um 12:10 PM
wildgans
„das Nest in deinem Arm“………das Allerschönste!
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Oktober 24, 2014 um 1:58 PM
Elvira
Hast Du das Lied schon mal gehört?
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Oktober 24, 2014 um 5:13 PM
wildgans
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Oktober 24, 2014 um 8:03 PM
Elvira
Ich liebe das Lied. Ich habe Tamara Danz geliebt. Kann man einen Menschen lieben, den man gar nicht kennt? Wohl eher nicht. Nun, jedenfalls war da immer so ein Gefühl in mir.
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Oktober 24, 2014 um 10:14 AM
rotewelt
Oh wie schön! Dein Erlebnis und die Worte, die du dafür gefunden hast. Ich kann deine Verzückung sehr gut nachvollziehen. Als junges Mädchen habe ich mal in einer verschneiten Sylvesternacht, als im Ort überall der Strom ausgefallen und es ganz still war, Wildgänse am Himmel gesehen und gehört und bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke.
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Oktober 24, 2014 um 12:11 PM
wildgans
Solche erhabenen erhebenden Erlebnisse – das pure Glück!
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