betrunkene Dame im Park
sieben Uhr früh und durch das Westend
stromert eine Dame achtzig hundert oder jünger
hilflos wankend und geht am Stock
wie oft bin ich ihr schon gefolgt und dachte
sie erkannt zu haben ihren trüben Blick
unter der Mütze aus Samt steinfarbene Locken
jetzt fällt sie nein sie fängt sich ab
ein Sturz gebändigt von flatternden Händen
der Wind bläht ihre Jacke aus Tigerfell
zerrauft und gesprenkelt brandige Löcher
wie oft bin ich ihr in den Park gefolgt
habe den Kopf gesenkt wie sie auf der Suche
nach etwas Bemerkenswertem auf dem Weg
bis ich ein Fünfmarkstück dort hinrollte
wo sie vorbeikommen mußte und sie ging vorbei
schwankend schaukelnd wie eine alte Korvette
die morgens betrunkene Dame im Park
vielleicht ist sie meine Mutter
vielleicht meine Schwester meine Tochter
sie sieht mir so ähnlich
(Helga M. Novak. In: In diesem Lande leben wir. Deutsche Gedichte der Gegenwart. Hrsg. Hans Bender. Hanser 1978)
1 Kommentar
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April 16, 2013 um 7:54 PM
Traveller
den Menschen genau hinterher geschaut
und sich in anderen finden – vielleicht
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